Afrojazz

Afrojazz
Afrojazz
 
[englisch, 'æfrəʊdʒæz], Sammelbezeichnung für jazzinspirierte Formen der populären Musik auf dem afrikanischen Kontinent. Gemeint ist damit also nicht — im Unterschied zu ähnlichen Begriffsbildungen (z. B. Afrocuban Jazz) — eine aus folkloristischen Quellen gespeiste ethnische Entwicklungslinie des Jazz. Unter Afrojazz werden vielmehr all diejenigen Genres und Gattungen afrikanischer Popmusik subsumiert, die im Jazz ihren musikalischen Ausgangspunkt besaßen. Es waren zugleich die ersten eigenständigen Formen von populärer Musik, die sich auf dem afrikanischen Kontinent entwickelten. Das Kolonialsystem hatte für kulturelle oder musikalische Aktivitäten nicht nur kaum Raum gelassen, seine Vertreter waren naturgemäß an der Bewahrung der kulturellen Identität der kolonialisierten Völker in keiner Weise interessiert. Zwar überlebte die reichhaltige Folklore Afrikas in den traditionellen Formen des Gemeinwesens, wo diese erhalten blieben; in den neu geschaffenen urbanen Ballungsräumen und Industriearbeitersiedlungen dominierte jedoch die Tanz- und Unterhaltungsmusik europäischen und amerikanischen Ursprungs der Kolonialmächte. Erst der politische Kampf um die Unabhängigkeit brachte auch hier die Rückbesinnung auf die eigene kulturelle Identität, verbunden mit einer allmählichen Reafrikanisierung der von den Europäern importierten Musikformen. Nicht von ungefähr spielte der Jazz, vor allem in seinen kommerziellen Varianten, dabei eine Schlüsselrolle. Nach dem zweiten Weltkrieg erreichte die Swing-Welle (Swing) der späten Dreißigerjahre — kriegsbedingt mit etwas Verspätung — den afrikanischen Kontinent. Parallel dazu gelangte Ende der Vierzigerjahre die damals gerade zur beherrschenden internationalen Musikmode gewordene afrokubanische Musik und afrobrasilianische Musik (Rumba, Samba, Cha-Cha-Cha, Beguine) durch Schallplattenimporte nach Afrika.
 
Beides besaß ursprünglich einmal Wurzeln hier und löste durch die innere Verwandtschaft mit der traditionellen afrikanischen Musik eine Kettenreaktion aus. So erwiesen sich afrikanische Musiker als überlegene Interpreten sowohl des kommerziellen Swing-Stils wie insbesondere auch der lateinamerikanischen Musik. Damit eröffneten sich ihnen erstmals massenhaft Auftrittsmöglichkeiten in den weißen Tanzbars und Nachtklubs der Großstädte, sodass sich binnen kurzer Zeit ein hochprofessioneller Musikerstamm herausbildete. Zudem boten sich die Musikimporte, die pauschal unter Jazz firmierten, zu einer Synthese mit der traditionellen Musik Afrikas förmlich an, zumal das Entstehen erster Plattenlabels (Label) und die Ende der Vierzigerjahre einsetzende Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen für die afrikanische Bevölkerung diesen Prozess sehr förderten. Im Ergebnis dessen entstand Ende der Vierzigerjahre in Südafrika der Kwela-Jazz — kleine Jazzensembles, die an die Kwela genannte Straßenmusik in den schwarzen Townships anknüpften (Mbaqanga). Im damaligen Kongo (heute Zaire und Kongo) entwickelte sich der Kongo-Jazz, der in den Fünfzigerjahren mit Aufnahmen des Gitarristen Mwenda Jean Bosco (* 1930) sowie des African Jazz Orchestra von Joseph Kalé (Joseph Kabasele, 1930-1983) auch in Europa bekannt wurde. Aus dem Kongo-Jazz ging die kongolesische Rumba hervor, die in dem Sänger und Liedautor Tabu Ley (Tabou Pascal Roocherai, geboren 1940) einen ihrer bekanntesten und musikalisch einflussreichsten Vertreter fand. Dabei handelte es sich um eine Reafrikanisierung der afrokubanischen Rumba, die auf das traditionelle afrikanische Perkussionsinstrumentarium übertragen und mit Melodieformen verbunden wurde, die aus dem traditionellen Liedrepertoire der im Kongo lebenden Volksgruppen stammten. Die kongolesische Rumba hat dann von Soukous aus Zaire und Chimurenga aus Zimbabwe über Jùjú und Highlife aus Ghana bzw. Nigeria, Mbalax aus dem Senegal bis hin zu Mbaqanga aus Südafrika und Makossa aus dem Kamerun eine ganze Reihe von Formen der populären Musik Afrikas geprägt. In Südafrika wurde in den Fünfzigerjahren aus dem Kwela-Jazz der Township-Jazz, der unmittelbare Ausgangspunkt des Mbaqanga, der durch Miriam Makeba (* 1932) dann weltweit bekannt gemacht worden ist. Anderseits sind aus dem Township-Jazz auch einige bedeutende, stärker jazzorientierte Musiker Afrikas hervorgegangen, wie etwa der Trompeter Hugh Masekela (* 1930) oder die Gruppe Malomobo Jazz. Allerdings blieben auch dabei die Grenzen zwischen Jazz und Popmusik äußerst fließend. Die 1961 in Beyla, Guinea, gegründete Gruppe Bembeya Jazz steht für den Afrojazz im frankophonen Teil des Kontinents, das Orchestra Makassy aus Tansania für die analogen Entwicklungen an der afrikanischen Ostküste. Bembeya Jazz löste in den Sechzigerjahren in Guinea eine Entwicklung aus, die zur Verbindung der traditionellen, hauptsächlich an die Kora (harfenähnliches afrikanisches Saiteninstrument) gebundenen Musik mit Funk-, Rock- und Soul-Einflüssen führte. Der Sänger und Kora-Spieler Mory Kante (* 1950) konnte ab Ende der Siebzigerjahre damit auch außerhalb Afrikas große Erfolge verbuchen und landete 1988 mit »Yé Ké Yé Ké« schließlich einen Welthit, der maßgeblich zu dem wachsenden Interesse an der populären Musik Afrikas beitrug. Insgesamt sind die Ableger und Seitenzweige des Afrojazz, lokale, regionale und überregionale Formen der afrikanischen Popmusik, von einer kaum überschaubaren Vielfalt. Im Verlauf der Entwicklung ist die ursprüngliche Jazzverwandtschaft insbesondere durch Einflüsse aus der angloamerikanischen Rock- und der afroamerikanischen Soulmusik dann allerdings so weit verdrängt worden, dass auch der Terminus Afrojazz dafür etwas außer Gebrauch gekommen ist.
 
Siehe auch: Ethnopop, Worldmusic.

Universal-Lexikon. 2012.

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